Buchrezension: Horse Walking von Kerstin Diacont und Jürgen Kemmler
Die Autorin Kerstin Diacont arbeitet bereits seit mehr als 25 Jahren mit einem ganzheitlichen Ausbildungskonzept von Pferd und Reiter. Dabei greift sie auf ihr umfassendes und vor allem reitweisenübergreifendes Wissen zurück. Besonders bekannt ist auch ihre 3 teilige Videoserie zum Thema “Reiten lernen”. Letztes Jahr habe ich bereits ihr Buch: Horsemanship-Training (Die Reitschule) (zur Rezension) vorgestellt und jetzt folgt ihr neustes Buch, dass sie gemeinsam mit Jürgen Kemmler rausgebracht hat: Horse Walking: Reiter und Pferd gemeinsam aktiv am Boden.
Das Taschenbuch im Softcover-Einband umfasst 159 Seiten. Es ist dabei sehr umfassend bebildert und in einem ansprechenden Design gestaltet. Die 12 Kapitel lesen sich sehr flüssig und schnell – so konnte ich das Buch an 2 Abenden durchlesen. Dabei sind die Trainingsansätze und die meisten der beschriebenen Übungen sehr einfach und bildlich erklärt und dadurch sehr gut nachvollziehbar. Es geht im Wesentlichen um das Thema Bodearbeit, egal ob Longe, Spazieren, Trail- oder klassische Bodenarbeitsübungen. Dabei wird auch die mentale Seite im Bereich der Aufmerksamkeitskontrolle, Fokuslenkung, Angstbewältigung und Körpersprache sehr eingehend betrachtet. Sehr schön sind in jedem Kapitel die blauen Kästchen, die grob die Lerninhalte beschreiben – das schafft eine sehr gute Übersicht.
Teil 1 – Grundsätzliches, Ausrüstung, Körpersprache usw. (Kapitel 1-6)
Im ersten Teil des Buches geht es um die notwendigen Grundlagen in der Erziehung im Miteinander mit dem Pferd, aber auch um die Grundlagen beim Reiter selbst – mentale Einstellungen, Gedanken, Ängste etc. werden hier sehr umfassend betrachtet.
“Pferd und Mensch bilden ein geschlossenes System in Bewegung, vergleichbar einem Tanzpaar.” (Diacont & Kemmler, 2017, S.10)
Zu Beginn werden einige grundsätzliche Ideen zur gemeinsamen Arbeit beschrieben. Dabei werden viele gute Standpunkte aufgezeigt und erläutert, wie z.B. sich auf das wesentliche konzentrieren, die komplexen Übungen in kleine Teilschritte zerlegen, sich stehts weiterbilden und gelerntes hinterfragen – Gewohnheiten auch mal ablegen können, sich selbst emotional zu kontrollieren und Fehler auch mal zuzulassen. Auch der Standpunkt, dass das Pferd im Grunde immer richtig handelt und wir deshalb eher von erwünschten und unerwünschten Verhalten sprechen sollten, wird eingehend erläutert. Im weiteren Abschnitt zeigen die Autoren zudem noch auf, wie wichtig es ist, den Ausbildungsstand, den Charakter und die Bedürfnisse des Pferdes zu verstehen und zu respektieren – nur so können Erfolge im Training erzielt werden (vgl. Diacont & Kemmler, 2017, S.14ff).
Im folgenden Abschnitt wird das Thema Ausrüstung behandelt. Dabei werden verschiedene Varianten, wie das Knoten- und das Gurthalfter, der Kappzaum, das Sidepull, der Leitstrick und die Longe vorgestellt und deren Verwendung erläutert. Auch weiterführende Ausrüstungsgegenstände, wie der Longiergurt, die Doppellonge und Ausbindervarianten werden vorgestellt und deren Verwendung erläutert.
Anschließend geht es im folgenden Abschnitt um die notwendigen Grundlagen in der Beziehung zwischen Mensch und Pferd.
“Fehlende Autorität oder Charakterschwäche kann bisweilen in menschlicher Gesellschaft lange durch Äußerlichkeiten überspielt werden, bevor sie entlarvt wird. Pferde hingegen entdecken Schwäche eines Artgenossen, aber auch Schwächen an ihrem menschlichen Partner sehr schnell, weil sie sich nicht durch Statussymbole blenden lassen.” (Diacon & Kemmler, 2017, S.35)
Die vorgestellten Grundsätze und Regeln sollen dem Menschen helfen ein entspanntes Miteinander aufzubauen, um somit die Grundlage für die weitere Arbeit zu schaffen. Anschließend wird die Kommunikation zwischen Pferd und Reiter eingehend erläutert. In diesem Kapitel wird vor allem deutlich, wie wichtig die inneren Bilder und mentale Einstellungen bei der Verständigung mit dem Pferd sind. So mag es bei der Kommunikations zwischen Menschen egal sein, ob man das eine sagt und das andere meint – das Pferd hingegen durchschaut das sofort und ist dann zu recht verwirrt:
“Beispiele: Wer das Pferd an der Longe in den Galopp bringen will, darf keine Angst davor haben, bei höheren Geschwindigkeiten die Kontrolle zu verlieren.” (Diacon & Kemmler, 2017, S.42)
Sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, beharrlich an dem Gewünschten festhalten und dennoch seine Emotionen kontrollieren können – das sind weitere Ansätze aus diesem Kapitel.
Der folgende Abschnitt betrachtet die körperlichen Grenzen von Pferd und Mensch und geht dabei vor allem auf die Fitness ein. Ziel soll es sein, dass der Mensch rechtzeitig erkennt, wann es genug ist. Somit sollen negative Erfahrungen durch Überforderung verhindert werden. Meiner Meinung nach ein sehr wichtiger Aspekt, der häufig ausgelassen wird.
Anschließend werden im nächsten Kapitel noch Regeln für das Training im Gelände vorgestellt. Dabei geht es im Wesentlichen um Verbote und Gebote, sowie Sicherheitsregeln im Dunklen, beim Anbinden, Erste Hilfe etc.
Teil 2 – Übungsteil
Hier erklären die Autoren zu Beginn den Unterschied zwischen Bewegung und qualitativer Bewegung. Dabei geht es zunächst um den Menschen. Die eigene Körperbeherrschung und -spannung sind in diesem Abschnitt zentrale Thematiken. Zudem werden auch Yogaübungen zur eigenen Vorbereitung gezeigt. Diesen Abschnitt finde ich besonders spannend und lehrreich.
Auch geht dieses Kapitel erneut auf die inneren und mentalen Bilder ein. Vor allem die wichtigen Fokuspunkte werden hier erneut vorgestellt.
“Die Kontrolle des Pferde spielt sich weitgehend im Kopf des Menschen ab: Innere Bilder und Gedanken steuern die Körpersprache. Mit unserer Gedankenkraft steuern wir die Energie im System >>Mensch plus Pferd<<. […] Gedankenkontrolle ist angesagt. Vermeiden Sie negative Bilder. Wer im Kopf hat >>hoffentlich scheut er nicht vor dem Traktor<< beschwört Scheuen geradezu herauf.” (Diacon & Kemmler, 2017, S.75)
Die eigenen Gedanken steuern und die Körpersprache- und -spannung gezielt einsetzen – diese Thematik wird hier ausführlich besprochen.
Anschließend geht der Fokus zum Pferd über. Dessen Aufmerksamkeit soll erreicht und abgerufen werden. Nur so ist eine zielführende Arbeit möglich. Im Anschluss an die Übungen ist eine Belohnung erforderlich – hier zeigen die Autoren verschiedene Varianten mit und ohne Futter auf. Ebenso erläutern Sie Aspekte der positiven und der negativen Verstärkung.
Ab Kapitel 9 werden dann alle möglichen Bodenarbeitsübungen vorgestellt. Darunter das Heranholen, Wegschicken, Rückwärtsrichten, verschiedene Führpositionen, Hinterhand- und Vorhandwendungen, Seitengänge, Schulterherein und Schenkelweichen. Im Anschluss geht es in Richtung Longentraining und freie Roundpen Arbeit. Alle vorgestellten Übungen werden bildlich und verständlich erklärt, einige dabei etwas ausführlicher als andere – was ich persönlich schade finde. Gerade die schwierigeren Übungen, wie das Schulterherein kommen sehr kurz – und es fehlen die passenden Bilder zur Verdeutlichung.
Im Kapitel 10 folgen weitere Übungen die mehr in Richtung Trail und Gelassenheit gehen. Verschiedene Parcoursvarianten und Trailhindernisse werden hier aufgezeigt und die dazugehörige Übung erklärt. Im Anschluss leiten die Autoren zum Geländetraining über. Auch die Thematik des Verladens in den Pferdehänger wird kurz vorgestellt – diese Übung ist wiederum sehr schön bebildert und dadurch ausführlich nachvollziehbar.
Zum Ende zu werden noch weitere Parcoursideen vorgestellt.
Fazit
Das Buch stellt eine gute Auswahl an unterschiedlichen Übungen und Beschäftigungsideen vom Boden aus vor. Dabei werden viele wichtige Grundlagen zur Erarbeitung der einzelnen Schritte vorgestellt und auch Lösungen, für mögliche Probleme aufgezeigt. Der wichtige Aspekt der eigenen Gedanken, der Aufmerksamkeit und des eigenen Fokus wird ebenfalls umfassend dargestellt. Dieses Teil fand ich persönlich am spannendsten.
Wenn man den Titel des Buches liest – so ging es jedenfalls mir – erwartet man irgendwie in gewisser Weise etwas Neues – Aufregendes. Ich für meinen Teil befasse mich sehr eingehend mit dem Thema Bodenarbeit und Arbeite auch sehr viel im Gelände, dabei gehören Körpersprache, Gehorsam und Gymnastizierung für mich zum alltäglichen Training dazu. Deshalb konnte dieses Buch mir persönlich leider nicht sehr viel Neues vermitteln. Gerade die Übungen sind einfach alle aus jeglicher Bodenarbeitslektüre bekannt. Und die schwierigeren Übungen, die wirklich auf Gymnastizierung abzielen sind leider viel zu kurz und mit wenig Tiefe erklärt. Für Bodenarbeitsanfänger oder auch für Menschen, die neue Inspiration suchen, ist es sicherlich dennoch sehr lehrreich. Trotzdem sind die Kapitel zum Thema mentaler Fokus und Kommunikation mit dem Pferd sehr spannend und auch für fortgeschrittene Leser empfehlenswert – schade ist nur, dass der Titel des Buches dieses thematischen Schwerpunkt nicht wirklich rüber bringt.
Ebenfalls verwunderlich fand ich die “Kooperation mit Krämer” – so wurde eigens für das Horse Walking – Konzept eine Ausrüstungslinie kreiert. Jedoch konnte ich – außer bei dem Gertenstick mit den wechselbare Spitzen – wenig neues erkennen. Derartige Kappzaumvarianten gab und gibt es bereits – und wie man bereits auf dem Titelbild des Buches sieht – verrutscht das Nasenstück sehr stark, sodass eine präzise Einwirkung nicht möglich ist. Schade – es gibt da weitaus bessere Kappzäume / Semikappzäume. Positiv anmerken möchte ich jedoch, dass die Autorin auch auf andere Ausrüstungsvarianten eingeht und deren Wirkungsweise beschreibt – so kann der Leser selbst entscheiden, womit er arbeiten möchte.
Insgesamt ein gutes Buch, dass wichtige Aspekte der mentalen Einstellung bei der Kommunikation mit dem Pferd aufzeigt und zahlreiche Übungen, sowie Bodenarbeits-Basis-Wissen vermittelt. Es ist somit eher für Anfänger der Materie geeignet – wobei wie bereits erwähnt die mentalen Aspekte auch für Fortgeschrittene Leser interessant sein können.
Originaltitel: | Horse Walking – Reiter und Pferd gemeinsam aktiv am Boden |
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Autor: | Kerstin Diacont & Jürgen Kemmler |
Verlag: | Müller Rüschlikon |
Ort: | Stuttgart |
Jahr: | 2017 |
ISBN: | 978-3-275-02029-4 |
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