Interview mit Offenstall-Expertin Tanja Romanazzi
Dr. Tanja Romanazzi verfügt über mehr als 30 Jahre fundierte Pferdeerfahrung. Im Jahr 2002 eröffnete Sie die Reitanlage Gut Heinrichshof. Die Anlage verfügt über 3 Aktivställe, 2 Paddock Trails, 5 Mini-Laufställe und 6 Doppelboxen. Mit ihrem umfangreichen Wissen über artgerechte Pferdehaltung berät Sie nun Stallbesitzer zum Thema Offenstallkonzepte. Zudem kann man themenspezifische E-Books auf ihrer Webseite erwerben, die gerade schwierige Themen der Umbauphase behandeln – wie beispielsweise: Das Matsch-Buch für Pferdehalter: Paddocks und Laufwege erfolgreich befestigen
Linda: Hallo Tanja, vielen Dank dass du dir Zeit nimmst, mir und den Lesern das Thema alternative Offenstall Konzepte etwas näher zu bringen. Wie kamst du denn dazu, dich auf dieses Gebiet der Pferdehaltung zu spezialisieren?
Tanja Romanazzi: Wir haben 2002 begonnen mit einer reinen Dressuranlage mit 41 Paddockboxen. Das war für mich damals die optimale Haltung. Da es finanziell jedoch nicht so aufging, wie wir es uns gehofft hatten (zu wenig Pferde bezogen auf die Größe und Unkosten der Anlage) mussten wir quasi zwangsweise erweitern und haben dann einen Aktivstall mit Computerfütterung für die Pferderentner und die Aufzuchtpferde dazu gebaut.
Wenn man so eine Reitanlage leitet, dann beobachtet man natürlich viel und für mich war es sehr beeindruckend, wie sich viele Pferde mit der Umstellung von der Box in den Offenstall verändert haben. Unruhige Pferde wurden viel entspannter und stumpfe und bisher als langweilige wahrgenommene Pferde bekamen auf einmal wieder Lebensfreude und eine sichtbare Persönlichkeit.
“Mir wurde also immer mehr bewusst, wie stark man die Lebensqualität der Pferde durch die Boxenhaltung einschränkt. Und mit dieser Erkenntnis haben wir jedes Jahr weiter umgebaut, immer mehr Boxen weg und neue Offenstallplätze dazu.”
Linda: Gab es eine Art Vorbildstall, an dem ihr euch bei der Gestaltung vom Gut Heinrichshof orientiert habt?
Tanja Romanazzi: Nein. Es kamen jedes Jahr neue Erkenntnisse und Ideen dazu. Man lernt natürlich viel aus den gemachten Fehlern und versucht dann beim nächsten Offenstall, es für die Pferde noch besser zu realisieren.Wir probieren viel aus und beobachten das Pferdeverhalten. Gleichzeitig lese ich gern (das Buch von Jamie Jackson über das Paddock Paradise gab viel Inspiration) und bewege mich regelmäßig im Internet, wo man auch immer wieder neue Ideen finden kann.
Linda: Was würdest du spontan sagen, sind die wichtigsten Bedürfnisse, die ein guter Offenstall unbedingt erfüllen muss?
Tanja Romanazzi: Alle Pferde, auch die rangniederen, müssen entspannt fressenund schlafen können. Die Hauptlaufwege, Futter- und Schlafplätze sollen möglichst matschfrei sein. Aufbau und Gestaltung des Offenstalls soll zu möglichst viel Bewegung führen.
Linda: Was genau ist ein Paddock Trail?
Tanja Romanazzi: Das Kernelement des Paddock Trail (oder auch Paddock Paradise) ist ein sogenannter Track oder auch Trail (quasi ein Pfad), der als 3m-5m breiter Streifen außen um die verfügbare Fläche geführt wird. Er simuliert die Wanderrouten der Wildpferde. Auf dem Track finden die Pferde in möglichst verteilter und vielfältiger Form alles vor, was sie brauchen: Heu, Mineralsteine, Wasser, Unterstand, Wälzplätze. Man versucht also trotz der oft eher kleinen Fläche für die Pferde maximal lange Laufwege zu realisieren.
“Um ausreichend Laufanreize zu schaffen, ist es besonders wichtig, Heu und Wasser möglichst weit entfernt voneinander anzubieten.”
Heu steht in einem Paddock Trail in der Regel 24h zur Verfügung, dafür wird die Weidezeit begrenzt. Man hat also eine Variante, mit der man die kostbaren inneren Grünflächen schonen (und somit in besserer Qualität halten) kann und trotzdem die Pferden nicht auf Auslauf und Bewegung verzichten müssen.
Linda: Mal ganz grob geschätzt, wie viel müsste eine Privatperson Minimum investieren, um einen kleinen Offenstall mit Paddock Trail für 3-4 Pferde artgerecht zu gestalten?
Tanja Romanazzi: Das kann man pauschal ganz schlecht sagen, weil vieles von der gewünschten Qualität (teurer Holzzaun vs. Plastikstecken und Stromband) abhängt und von dem Anteil an Eigenleistung.
Wenn man auf einer grünen Wiese von zum Beispiel 5000 m² einen Paddock Trail für 3-4 Pferde neu bauen möchte, dann braucht man einen Unterstand von ca. 40 m² Fläche für die Pferde + gegebenenfalls überdachte Fläche für Heu, Hafer und Sattelkammer. Wenn man so einen Unterstand bauen lässt, kostet es als grobe Schätzung 6000,- bis 8000,-€. Wenn man selber in der Lage ist, so etwas vernünftig zu bauen, geht es natürlich auch viel preiswerter.
Man benötigt ca. 300m Zaunmaterial für den Außenzaun und ca. 250m für den Innenzaun. Die Kosten liegen abhängig von der Ausführung zwischen 1500,- und 4000,-€
Und der dritte große Posten ist die Bodenbefestigung. Der Pfad außen herum sollte zumindest auf 50cm befestigt sein, so daß sich die Pferde zu Matschzeiten darauf bewegen können. Dazu kommen Flächen vor dem Unterstand und an den Futterstationen. Es sind also grob geschätzt 200m² zu befestigen. Nimmt man dafür gute Paddockraster und etwas Sand, so kostet das in etwa 4000,-€. Hinzu kommen dann noch kleinere Posten, wie eine Heuraufe oder Heunetze, Lecksteine, Einstreu und einiges mehr.
“Wenn man einen Paddock Trail für 3-4 Pferde bauen möchte und eher wenig Eigenleistung bieten kann, muss man für eine halbwegs gute Qualität schon 12.000 bis 13.000,-€ rechnen. Wenn man jedoch gute Bekannte hat (am besten ausgerüstet mit den entsprechenden Maschinen) und selber auch mit anfassen kann, dann sollte es auch schon mit 8000,-€ möglich sein.”
Linda: Würdest du sagen, dass der Pflegeaufwand für einen solches Stallkonzept größer ist, als bei herkömmlichen Stallungen?
Tanja Romanazzi: Auf keinen Fall. Es ist eher umgekehrt. Die Haltung von 10 Pferden im Paddock Trail benötigt viel weniger Arbeitszeit als die Pflege von 10 Boxenpferden. Man benötigt dafür beim Paddock Trail vielleicht etwas mehr Sachkenntnis über Herdenzusammensetzungen, Platzbedarf etc.
Linda: Und noch eine letzte Frage. Was genau ist das Besondere an einem Aktivstall?
Tanja Romanazzi: Der Begriff Aktivstall wurde von der Firma HIT geprägt. Es bezeichnet in seiner Ursprungsform einen Offenstall mit Computerfütterung. Die Pferde bekommen in verschiedenen Stationen, ihr Kraftfutter und auch ihr Heu in einer individuell festlegbaren Menge zugeteilt. Dieses erfolgt verteilt über den ganzen Tag. Die Pferde können sich also eine Portion abholen und danach ist die Station erst einmal für dieses Pferd eine Stunde gesperrt. Die Pferde müssen also selber aktiv sein, und sich ihr Futter an den verschiedenen Stationen in kleinen Mahlzeiten regelmäßig abholen. Wenn Kraftfutter- und Heustationen, Tränke und Unterstand möglichst weit voneinander entfernt liegen, führt dieses zu viel Bewegung bei den Pferden.
Bücher von Dr. Tanja Romanazzi:
// Amazon.de Widgets